Nicht zu stoppen: Das veränderte Spielerlebnis im Zeitalter von künstlicher Intelligenz
Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Vor allem in der Unterhaltungsindustrie kommt kein Konzept mehr ohne Buzzwords wie „Robotik“, „Virtual Reality“ und „Augmented Reality“ aus. Die Spielwarenbranche hat die Zeitenwende längst erkannt. Neue Angebote erhöhen nicht nur den Spaßfaktor, sondern vermitteln auch technische Kompetenz.
Der Spielwaren-Markt ist immer auch ein Spiegelbild seiner Gesellschaft. Schließlich ist die Frage, welche Werte Menschen hochhalten und ablehnen, was sie bewegt und welche Perspektiven sie verfolgen, untrennbar mit der Frage verbunden, was sie ihren Kindern zum Spielen geben.
Führt man sich dies vor Augen, so erkennt man rasch, dass die Spielwaren-Industrie vor einem neuen Zeitalter steht, denn nichts anderes geschieht derzeit gesamtgesellschaftlich. Kulturell hatte 2023 kaum ein Thema eine derartige Ausdauer im Mediendiskurs wie der Aufstieg künstlicher Intelligenz, ihre neuen Möglichkeiten und die Frage, wie sich der Mensch ihr gegenüber verhalten soll. Dass KI nun nicht länger bloß Bilder produzieren, sondern mittlerweile auch lange Textpassagen anfertigen kann und dabei immer weiter dazulernt, ließ Technologiebegeisterte auf der ganzen Welt jubilieren. Gleichzeitig holte der rasche Fortschritt ethisch-moralische Bedenkenträger auf den Plan und es wurde vor den Gefahren gewarnt, sollte man den Umgang mit KI nicht regulieren. In internationalen Symposien sollten verbindliche Regelwerke aufgestellt werden. Ein Prozess, der noch länger andauern wird.
Die „AI Natives“ wachsen heran
Egal ob skeptisch oder euphorisch: Die aktuelle Technologie-Welle schwappt über die ganze Welt und lässt sich nicht aufhalten. Sich darüber zu beschweren wäre in etwa so sinnvoll, wie sich über das Wetter zu beschweren: Es ist eine Tatsache, mit der man den bestmöglichen Umgang finden sollte.
Hat man vor einigen Jahren von den „Digital Natives“ gesprochen, wenn Kinder der 00er-Jahre traumwandlerisch sicher Touchscreens bedienten und Apps installierten, so werden die nächsten Generationen als „AI Natives“ völlig selbstverständlich mit selbstlernender, kreativbegabter Roboterintelligenz aufwachsen und diese später einzusetzen wissen.
Vorausschauende Unternehmen der Spielwaren-Industrie sind sich dessen bewusst und haben ihr Portfolio längst auf diesen Boom ausgerichtet. Besonders sticht dies ins Auge, wenn man sich die Entwicklung von Spielzeug-Robotern anschaut.
Treffen der Roboter-Generationen
Unter dem Begriff „Roboter“ stellen sich Kinder jeglicher Generation nämlich in der Regel weder eine industrielle Fertigungsmaschine vor, noch ein kommunikatives Textprogramm. Vielmehr assoziieren sie damit einen annähernd humanoiden Blechkameraden mit staksigen Bewegungen. So, wie er im aufkommenden Science-Fiction-Kino der 80er-Jahre zunehmend populär wurde und bis heute ein Dauerbrenner ist – dies allerdings mit Modifikationen.
Ein Klassiker in Kinderzimmern der sogenannten „Generation X“ war der sprechende „Dickie“ Roboter. Er kam in verschiedenen Farbvarianten daher – die populärste war wohl das schwarze Modell mit goldenen Armen und einem roten Visier. Letzteres blinkte, wenn man den Schalter am Rücken betätigte. Zudem bewegte sich das Spielzeug dann unkontrolliert auf seinen unten angebrachten Rollen. Ein Knopf auf der Plastik-Schädeldecke aktivierte eine anscheinend zufällige Abfolge von Sounds – vor allem Lasergeräusche und ein paar tatsächlich verständliche Sätze.
Im Vergleich zu den bis dato bekannten Action-Figuren wurde das Spielerlebnis also mit ein wenig batteriebetriebener Technik aufgewertet. Doch der Rest wurde ebenso der spielerischen Fantasie überlassen. Was in Kinderaugen der 80er- und frühen 90er-Jahre möglicherweise anmutete wie die wahrgewordene Fantasie aus einer futuristischen Zeichentrickserie, würde heutzutage kaum noch einen müden Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Zu routiniert gehen dafür selbst Sechsjährige mit alltäglicher Digitalwirklichkeit um. Und so werden auch an heutige Spielzeug-Roboter andere Ansprüche gestellt.
Beim Spielen mit dem „AIRO“ von Clementoni beispielsweise werden im direkten Vergleich fast schon kleine Ingenieure ausgebildet. Der weiße Roboter mit den markanten grünen Augen kommt voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2024 auf den Markt. Er kann über Bluetooth mit einem mobilen Endgerät verbunden werden. Dort programmiert ihn der/die Besitzer:in mittels zugehöriger App. Das macht den AIRO lernfähig. Denn entweder kann man über die Handykamera Bewegungen vormachen, die der Roboter imitiert. Oder man gibt ihm Sprachbefehle. Insgesamt sind im Roboter-Körper sechs Motoren verbaut, wodurch die Bewegungsspanne doch erheblich ist. Hier wird also nicht nur multimediale Kompetenz geschult, sondern auch Geschicklichkeit, Logik und räumliche Orientierung. Nicht ausgeschlossen, dass die eine oder andere Robotik-Karriere beim Spiel mit dem AIRO ihren Ursprung nimmt.
Furby im Wandel der Zeit
Am Beispiel des Kuschel-Klassikers „Furby“, den Hasbro seit 1998 weltweit vertreibt, kann man den technischen Fortschritt der vergangenen 25 Jahre sogar innerhalb eines Franchise nachvollziehen. Die erste Generation verfügte immerhin über eine Infrarotschnittstelle, über die das knuffige Fantasie-Tier mit anderen Furbys kommunizieren konnte. Dennoch wirkt das Modell aus heutiger Sicht fast primitiv, die Sprache sehr blechern und die Mechanik der Ohren quietschte und rasselte so laut, dass man manchmal schon raten musste, was Furby gesagt hat. Das Fellwesen konnte noch nicht einmal ausgeschaltet werden – es sei denn, man entfernte die Batterien.
Beim Modell von 2005 wurde die Infrarot-Schnittstelle bereits durch eine Spracherkennung ersetzt. 2012 war Furby schon so intelligent, dass das Spielzeug sein Verhalten und seine „Persönlichkeit“ unterschiedlich entwickelte, je nachdem, wie man mit ihm umging. 2014 folgte dann der Durchbruch mit zugehöriger App – ein Stilmittel, das in diesem Beitrag häufiger Erwähnung findet. Die neuste Generation, die seit Mitte letzten Jahres auf dem Markt ist, verfügt über fünf sprachaktivierte Modi – von Tanzparty bis Hellsehen – und insgesamt über 600 Antworten. Und ja – das neue Furby lässt sich auch ausschalten beziehungsweise „schlafen legen“.
Cartoon-Zombies und Computer-Bienen kreuzen unseren Weg
Der Umgang mit mobilen Endgeräten wird auch beim Spielen mit den Produkten von Augmented Robotics trainiert. Das Berliner Unternehmen entwickelt Hybrid-Games, bei denen die echte Welt mit der virtuellen verschmilzt. So greifen die Spieler von „Zombie Crasher AR“ beispielsweise auf ihre altbekannten Spielzeug-Autos zurück und lassen diese wie gehabt über Tische, Bänke oder Fußböden flitzen. Dabei folgt man den Vehikeln jedoch mit der Handykamera und sieht auf dem Display cartooneske Untote, die es mit der Kühlerhaube abzuräumen gilt. Der eine oder andere mag sich hier an einen gewissen Taschenmonster-Sammler-Welterfolg aus Fernost erinnert fühlen.
Etwas lebendigere Objekte werden im „Biene SumSum Augmented Reality Abenteuerpfad“ behandelt, das Augmented Robotics derzeit gemeinsam mit der Stadt Leverkusen entwickelt. Warum gemeinsam mit der Stadt? Weil hier die konkrete Umgebung in das Spielerlebnis eingebaut wird. Die Spieler unternehmen einen physischen Spaziergang durch den Stadtteil Schlebusch, entlang der Dhünn – eines Zuflusses der Wupper. Über den Monitor des Endgeräts, das sie mit sich führen, schlüpfen sie in die Rolle einer Biene. Dabei müssen konkrete Ziele angeflogen und alltägliche Aufgaben aus dem Leben der nützlichen Insekten erledigt werden. Schließlich führt ein Menü in das „Große Buch der Bienen“ ein, wo allerhand Informationen über sie abgerufen werden können.
Die Idee, ein unterhaltsames Videospiel mit einem Spaziergang an der frischen Luft und pädagogischen Inhalten zu verknüpfen und dies auf eine bestimmte Lokalität zuzuschneiden, könnte zum Präzedenzfall für diverse Ableger werden. Ob ein Spaziergang durch die Natur allerdings aufgewertet wird, wenn man letztere durch die Verengung eines Handy-Displays betrachtet, sei mal dahingestellt.
Klar ist lediglich: Das Interesse an künstlicher Intelligenz ist riesig im Spielwaren-Markt. Entwickler und Hersteller arbeiten jetzt schon mit Hochdruck daran, diese Nachfrage mit einem adäquaten Angebot zu beantworten und im Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Dynamische Zeitperioden wie die aktuelle sind und waren stets ein ausgezeichneter Nährboden für große Kreativleistungen. Was die neuen technischen Möglichkeiten noch zum Spielerlebnis beitragen werden und wie Spielwaren neugierige Kinder zu anwendungsstarken Persönlichkeiten machen – wir dürfen es in Echtzeit verfolgen.