Neuer Megatrend Social Commerce – Interview mit Nic Jones (SituAction)

Auf 8 Billionen US-Dollar schätzt der Marktforscher Global Industry Analysts das weltweite Jahresvolumen im Social Commerce 2030. Dabei verkaufen Unternehmen ihre Waren direkt auf den eigenen Social-Media-Kanälen. Sie nutzen dabei bestehende Communities und stellen die Produkte in unmittelbaren Zusammenhang mit unterhaltsamem Content. Plattformen wie TikTok oder Instagram bieten längst entsprechende Funktionen an. Wie sich die Spielwarenbranche für den neuen Megatrend rüstet, erklärt Nic Jones vom britischen Consulting-Unternehmen SituAction im BRANDORA-Interview.
Laut Experten wird Social Commerce in den kommenden Jahren zu einem Billionen-Dollar-Geschäft werden. Was sind die wichtigsten Vorbereitungen, die Spielwarenhersteller jetzt treffen müssen?
Wenn man Zahlen wie ein Social-Commerce-Marktvolumen von 8 Billionen US-Dollar bis 2030 sieht, wird die Attraktivität eindeutig klar. Grundsätzlich besteht die Stärke von Social Commerce darin, dass es Medieninvestitionen gleichzeitig in Markenaufbau und unmittelbare Verkäufe verwandelt.
Für die Spielwarenbranche ist dies eine enorme Chance – aber nur, wenn zunächst die Grundlagen geschaffen werden. Hersteller können technisch gesehen schnell mit dem Verkauf starten, doch in der Realität gibt es viele miteinander verbundene Elemente, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Erfolgreiche Unternehmen behandeln Social Commerce als Vertriebskanal, nicht als Marketingexperiment.
Es gibt drei zentrale Bereiche, die vorbereitet werden müssen. Erstens: operative und logistische Voraussetzungen – zum Beispiel die Frage, ob Pick & Pack möglich ist. Zweitens: Eine Markenanalyse hinsichtlich Klarheit und Konsistenz. Spielwarenmarken mit unklarer Positionierung oder veralteter Botschaft werden sich in diesem Umfeld schwertun. Drittens: Die kreative Produktion muss überdacht werden, da Social Commerce stark performanceorientiert ist.
Welche Daten müssen Hersteller sammeln, um für die Zukunft des Social Commerce vorbereitet zu sein?
Die Wahl der richtigen Plattformen und die Gestaltung der passenden Kreativstrategie hängen beide von Daten ab. Glücklicherweise sind viele der benötigten Erkenntnisse bereits vorhanden – etwa in den eigenen Marken- und Produktdaten oder in Zielgruppen- und demografischen Profilen. Hinzu kommen die Plattformen selbst, die – je nach Verkaufsumgebung – Analysen bereitstellen können, um Kampagnenplanung und Auswertung zu unterstützen.
Kann der Einsatz von KI hilfreich sein, um eine Social-Commerce-Strategie aufzubauen?
KI ist ein unglaublich mächtiges Werkzeug und wird künftig eine wichtige Rolle dabei spielen, wie Menschen einkaufen. Sie eignet sich hervorragend als Planungsassistent und kann bei der Analyse von Social Commerce unterstützen, aber sie kann keine endgültige strategische Richtung vorgeben – diese muss von dem Team kommen, das die Marke wirklich versteht.
TikTok, Instagram, YouTube – auf welchen Plattformen müssen Unternehmen präsent sein, um von diesem Trend zu profitieren?
Jede Plattform erfüllt eine andere Funktion und die richtige Wahl hängt vollständig von der Zielgruppe und dem Produkttyp ab – was wieder auf eine sorgfältige Vorbereitung zurückführt. Die richtige Plattform ist diejenige, auf der sich die eigenen Konsumenten bereits befinden, nicht unbedingt die, die gerade am meisten gehypt wird. TikTok Shop ist derzeit Marktführer, aber eine Marke, die maßstabsgetreue Modelleisenbahnen für ältere Kidults verkauft, wird wahrscheinlich auf Facebook oder YouTube ein besseres ROI erzielen, da die demografische Übereinstimmung stärker ist.
Geht es bei Social Commerce in erster Linie darum, Werbung auf populären Kanälen zu schalten? Oder steht selbst produzierter, unterhaltsamer Content im Vordergrund, der die Marke stärkt und Verkäufe über die eigenen Kanäle steigert?
Es geht ganz sicher nicht darum, traditionelle Anzeigen zu schalten – auch wenn dies möglich ist. Social Commerce stellt Authentizität über Perfektion, denn Konsumenten kaufen, wenn sie glauben, was sie sehen: echte Nutzung, authentische Reaktionen, vertrauenswürdige Creator. Die unverwechselbaren Markenassets sollten heute auf Glaubwürdigkeit, Emotion, Storytelling und Transparenz basieren. Deshalb gewinnen die eigenen Kanäle sogar noch mehr an Bedeutung – Konsumenten prüfen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit vor einem Kauf und Plattformkonsistenz schafft Vertrauen.
Welche Rolle spielen große Streaminganbieter wie Netflix oder Amazon im Social Commerce?
Derzeit beobachten sie – ähnlich wie die Hersteller – den Markt sehr aufmerksam. Sobald Streamingplattformen wie Netflix Shoppable-Formate in Familienprogramme integrieren, könnte dies einen großen Wandel für die Spielwaren- und Lizenzbranche auslösen. Amazon ist bereits ein Commerce-first-Ökosystem, allerdings basiert das Nutzungserlebnis auf Produktseiten, nicht auf creator-basiertem Storytelling. Damit Amazon vollständig in Social Commerce einsteigt, wäre eine deutliche Veränderung der Integration von Content und Commerce notwendig.
Werden Spielwarenhersteller künftig dank Social Commerce und eigener Kanäle Händler umgehen können? Oder ist es essenziell, erfolgreiche Onlinehändler weiterhin einzubinden?
Bis Ende des Jahrzehnts wird Social Commerce einen großen Anteil der D2C-Verkäufe ausmachen, aber das macht Händler nicht überflüssig. Auch wenn es einigen Marken schwerfällt, in stationäre Geschäfte zu gelangen, bleibt der Handel – online wie offline – ein wichtiger Teil der Gesamtstrategie. Social Commerce schafft lediglich eine neue Möglichkeit und zwingt die Strategie zur Weiterentwicklung. Ein Multichannel-Ansatz ist heute unerlässlich.
Bedeutet der Aufstieg von Social Commerce einen Wettbewerb unter Spielwarenherstellern darum, die beliebtesten Influencer für sich zu gewinnen?
Potenziell ja, aber sich ausschließlich auf die größten Influencer zu konzentrieren, ist ein Fehler.
Eine ausgewogene Strategie liefert bessere Ergebnisse. Ein Mega-Creator mit über einer Million Followern eignet sich hervorragend zur Reichweitensteigerung, ist aber vielleicht nicht die beste Wahl, wenn es um Vertrauen und höhere Conversion Rates geht – hier sind Micro-Creators mit 10.000 bis 100.000 Followern oft geeigneter. Wie bei der Mediaplanung sollten Marken Creator nutzen, um Reichweite, Frequenz und Kosteneffizienz zu steuern. Das gesamte Ökosystem ist wichtig – nicht nur große Namen. Auch hier gilt: Die Strategie entscheidet.
Wie steht es um das Vertrauen der Kunden? Erste Studien berichteten von unzureichenden Richtlinien für Rücksendungen, Erstattungen oder Umtausch.
Diese Bedenken sind berechtigt, und sie betreffen alle großen Marktplätze – nicht nur Social Commerce. Zudem sollte man die „illegalen“ Spielwaren nicht vergessen, die ebenfalls über Marktplätze verkauft werden. Für Hersteller ist es entscheidend, klare Richtlinien für Rückgaben, Erstattungen und Lieferungen zu formulieren und eine zuverlässige Abwicklung sicherzustellen. So wird die Marke für Transparenz bekannt und geschätzt. Wenn Richtlinien gut durchdacht und operative Prozesse solide sind, wächst Vertrauen schnell. Die meisten Probleme entstehen, wenn Marken ohne die nötige Vorarbeit starten. Auch hier ist Vorbereitung entscheidend.
Gibt es einen besonders erfolgreichen Social-Commerce-Fall, der als Best Practice gilt?
Ein reines europäisches Best Practice im Spielwarenbereich entwickelt sich noch, aber die stärksten und relevantesten Beispiele stammen aus den Bereichen Beauty und Fashion, die mehrere Jahre Vorsprung im Social Commerce haben. Ein herausragendes Beispiel ist L’Oréals europäische Social-Commerce-Strategie, bei der Livestreams Conversion Rates von 12–17 Prozent erzielten – und 90 Prozent der Käufer waren Neukunden. L’Oréal setzte auf ein Mix-Modell aus Bundles, Limited Drops und Creator-geführten Demos, was zu einem viel schnelleren Vertrauensaufbau führte als traditionelle Werbung. Diese Taktiken lassen sich perfekt auf Spielwaren übertragen – beispielsweise mit Live-Unboxings, „Play-along“-Sessions, Limited-Edition-Drops oder Kooperationen mit Lizenzcharakteren.