Jahr für Jahr entwickelt die Kinderausstattungsbranche eine Vielzahl von Produkten, die noch sicherer, multifunktionaler und alltagstauglicher sind als ihre Vorgänger. Umfangreiche Funktionen und Features kommen den Erwartungen junger Eltern entgegen. Doch die Deutschen haben immer seltener Kinder und die Konsumlaune ist mäßig. Wie stellt sich die Branche auf eine Krise ein, die beschlossen hat, zu bleiben? Und welche Trends und Neuheiten erwarten uns im Herbst? Der Bundesverband Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e. V. (BDKH) liefert einen Überblick zu den wichtigsten Fragen.
Lange nach Corona und dem Ukraine-Krieg bleibt die wirtschaftliche Lage Deutschlands unsicher und beeinflusst die Geburtenentwicklung und das Konsumklima von Paaren und Familien. Seit dem vergangenen Jahr belasten Inflation und Preissteigerungen in allen Bereichen die Haushalte. Der Industrie machen hohe Energiekosten, bürokratische Hürden, der Fachkräftemangel und die Konkurrenz aus Asien zu schaffen. Diese wird teils subventioniert und kann daher ungleich billiger produzieren. Dazu beeinträchtigen in manchen Regionen immer häufiger Klimawandel-Folgen wie Starkregen und Überschwemmungen die Unternehmen. Anders als etwa Frankreich oder Spanien verharrt die deutsche Wirtschaft gegenwärtig in einer Stagnation.
Die wirtschaftliche Unsicherheit hat vor allem unter kleinen und mittleren Unternehmen zu Restrukturierungsmaßnahmen und Insolvenzen geführt. Auch Hersteller von Kinderprodukten blieben davon nicht verschont. Manches Unternehmen kündigte an, seine Produktion trotz fragiler Lieferketten (wieder) ins außereuropäische Ausland zu verlagern. „Während der Pandemie und nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine hatten viele Hersteller überlegt, die Produktion wieder nach Europa zu holen“, berichtet Dr. Alessandro Zanini, BDKHVorstandsvorsitzender und Commercial General Manager Europe der Avova GmbH. „Nun scheinen die hohen Kosten erneut zu einem Umdenken zu führen.“
Die Geburtenzahlen sinken weiter
Sorgen bereiten der Branche auch die rückläufigen Geburtenzahlen. Sie sanken in den vergangenen zwei Jahren besonders drastisch: 2022 wurden 7,1 % weniger Babys als im Vorjahr geboren, 2023 waren es 6,2 % weniger Geburten. Nachwuchs ist für junge Paare nicht mehr die Norm, zumal die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere nach wie vor schwierig ist. Insbesondere bei Frauen führt die Ankunft eines Babys häufig zu anhaltenden beruflichen Nachteilen. Auch die ersten Zahlen des laufenden Jahres sind kein Grund zur Freude. „Die Geburtenrate sank allein in den Monaten Januar bis März 2024 um weitere 3,0 % im Vorjahresvergleich. Dies spiegelt sich wiederum in den Marktzahlen im Bereich Baby und Kind wider“, erläutert Carina Stäbisch, Projektmanagerin beim IFH Köln und Mitautorin des Branchenberichts Baby- und Kinderausstattung.
Die jüngsten Preissteigerungen betreffen auch Produkte für Kinder und belasten das Budget der Familien. Allein die Erstlingsausstattung für Babys ist zwischen den Jahren 2020 bis 2022 durchschnittlich um 4,5 Prozent teurer geworden. Die Kosten für Kinder bis zum 2. Lebensjahr lag 2022 bei durchschnittlich 1.122 Euro im Jahr. Besonders kostspielig ist die Erstlingsausstattung, für die im gleichen Jahr durchschnittlich 3.494 Euro ausgegeben wurde. Um über die Runden zu kommen, kaufen Eltern häufiger im Discounter, über BilligPlattformen aus Fernost oder Secondhandware ein.
Asiatische Marktplätze wie Temu oder Shein sprechen mit ihren aggressiven Marketingmethoden besonders die jüngere Generation an und locken mit günstigeren Preisen und vielen Rabattaktionen. Doch billig ist nicht immer gut. Verbraucherorganisationen und Branchenverbände haben georderte Produkte getestet und massive Sicherheitsverstöße festgestellt. Bei Kinderspielzeug etwa lösten sich Kleinteile, es wurden Schwermetalle und Weichmacher gefunden. „Asiatische Schnäppchen-Plattformen unterlaufen bewusst geltende Standards“, kritisiert Michael Neumann, Geschäftsführer des BDKH. Der Verband sieht hier dringenden Handlungsbedarf beim Gesetzgeber, um Konsumenten zu schützen und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.
Gebraucht geht auch
Der Trend zum Secondhand-Einkauf schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch die Umwelt. Eine gute Option, wenn Kleidung und Ausstattung für Babys und Kleinkinder nur kurze Zeit genutzt werden. Der Zugang zur Gebrauchtware ist durch diverse Online-Marktplätze zudem deutlich niederschwelliger geworden. Im Jahr 2021 wuchs der Secondhandmarkt für Baby- und Kinderausstattung um 22,5 Prozent, im Jahr 2022 um weitere 6,9 Prozent, meldet das IFH Köln. Viele Händler folgen bereits diesem Trend und bieten eigene Gebrauchtwarensortimente an – sowohl stationär als auch online. Secondhand ist jedoch nicht immer sinnvoll. Daniela Ortner, Marketingchefin bei Träumeland, warnt: „Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass gebrauchte Matratzen für Babys ungesund sein können. Sie erhöhen das Risiko von Allergien und Hautproblemen und steigern das Risiko des Plötzlichen Kindstodes.“
Ein weiterer Trend bei der Kinderausstattung sind Mietkonzepte, die über eigenständige Plattformen oder die Hersteller selbst angeboten werden. Mit ihnen können Eltern die Kosten für hochwertige und oft nur kurzzeitig genutzte Kleinkindausstattung senken oder gewünschte Produkte erst einmal testen. Auf der Plattform StrollMe zählen zur umfangreichen Produktpalette u. a. Kinderwagen, Fahrradanhänger, Laufräder, Betten, Möbel und Milch-pumpen. Der Hersteller Wunderwiege bietet seine automatische Federwiege prinzipiell als Kauf- oder als Mietmodell an.
Wettbewerbsvorteile durch Mehrwert
Die Erwartungen der jungen Zielgruppe wandeln sich stets. Hersteller wie Händler müssen mehr denn je kundenorientiert sein und agieren vermehrt über Influencer und Hebammen, um Schwangere und frischgebackene Eltern zu erreichen. Mit neuen Konzepten wie Produktvermietung oder dem Angebot von Reparaturleistungen wird ein Mehrwert geschaffen, der Wettbewerbsvorteile bringt. 2023 erreichte der Markt für Baby- und Kinderausstattung über alle Segmente hinweg ein Volumen von rund 7,7 Milliarden Euro und stieg damit leicht im Vorjahresvergleich. Trotz der Herausforderungen wird der Markt in den kommenden Jahren nach den Prognosen des IFH Köln und der BBE Handelsberatung jährlich weiter um 1 bis 2 Prozent wachsen. Große Wachstumssprünge werden nicht erwartet.
Dauerbrenner Multifunktionalität
Dreh- und Angelpunkt für viele Neuheiten in der Kinderausstattung ist nach wie vor die Kölner Leitmesse Kind + Jugend. Erstmals von Dienstag bis Donnerstag präsentieren sich auf der Fachmesse Anfang September mehrere hundert internationale Aussteller, darunter ein erneut gewachsener Anteil asiatischer Hersteller. Nach wie vor hoch im Kurs stehen Produkte, die sich vielseitig einsetzen lassen. „Wir beobachten einen Trend, der bei der Kaufentscheidung eine sehr wichtige Rolle spielt: Multifunktionalität. Eltern bevorzugen Produkte, die im Familienalltag größtmögliche Flexibilität und Spontaneität zulassen“, so Martin Karle, Head of Marketing der Allison GmbH für die Marke Joie. Mit der neuen Babyschale Signature Sprint anwortet das Unternehmen auf die mobilen Herausforderungen junger Familien. Karle: „Ob Lebenspartner, Großeltern, Geschwister, Freunde oder BabyBetreuer jeglicher Art: "Heutzutage transportiert nicht mehr nur die Mutter ihr Kind im eigenen Auto.“ Die Babyschale kann unkompliziert zwischen verschiedenen Fahrzeugen gewechselt werden, da sie sowohl über eine Basisstation als auch über das integrierte Isofix-System installiert werden kann.
Mobil auf engstem Raum
Buchstäblich flexibel ist der innovative neue Kinderwagen SWIV von Nuna mit seinen vier rundherum schwenkbaren Rädern. Der leichte Kinderwagen mit carbonverstärktem Aluminiumrahmen kann selbst bei beengten Platzverhältnissen im Café oder im Aufzug in alle Richtungen navigiert werden. Die Swivel Räder werden bei Bedarf einfach über einen Knopf am Griff entriegelt. Die Farben des Kinderwagens sind in edlen Schwarz-, Braun- und Beigetönen gehalten und heißen Biscotti, Caviar und Granite. Edel und im Winter kuschlig weich ist auch der Allwettersitz mit Merinowolle. Im Sommer sitzt der Nachwuchs dank Mesh-Material kühl und luftig und von einem UV-Schutz-Verdeck 50+ geschützt.
Ice Heiß Baby!
Auf den Klimawandel mit zunehmenden Hitzeperioden reagieren die Hersteller auch im Bereich Autokindersitze mit Materialien, die einem Hitzestau der kleinen Passagiere vorbeugen sollen. Bei den neuen i-Size Sitzen First Seat Recline und Seat105 von Chicco kommen atmungsaktive Bambusfasern zum Einsatz, die Feuchtigkeit ableiten und somit die Temperatur regulieren. Die Rückenlehne des Reboarders Seat105 ist für den optimalen Luftdurchlass perforiert. Im Sonnenverdeck der Babyschale kann an heißen Tagen über einen Reißverschluss ein Netzfenster geöffnet werden. Außerdem verfügt der vielseitig einsetzbare Sitz über drei Liegepositionen, eine Zulassung als Babywippe sowie eine für Reisen im Flugzeug.
Auch die neuen Kinderwagen-Babywannen Flexi und Gran Comfort von Chicco sind mit seitlichen Netzeinsätzen für eine bessere Luftzirkulation ausgestattet. Neben dem ausziehbaren Verdeck kann an heißen, kalten oder feuchten Tagen ein Segel aus dem vorderen Bereich der Wanne aufgespannt werden, das für den Rundumschutz sorgt.
Bei Träumeland zeichnen sich nicht nur die Baby- und Kindermatratzen durch atmungsaktive Materialien und Belüftungskanäle aus. Auch die Schlafsäcke des österreichischen Herstellers sind mit einer integrierten Belüftung ausgestattet, die die Temperatur im Schlafsack innerhalb von fünf Minuten um 3°C senken kann. Das neue Nest HOME Air ist durch eine 3DLuftpolsterauflage maximal luftdurchlässig, so dass das Baby freier atmen kann und weniger schwitzt.
Nachhaltig und langlebig
Das neue Baby-Mäxchen von Alvi – in Kooperation mit Babyschlaf-Expertin Heike vom Heede entwickelt – punktet ebenfalls mit einem ausgeklügelten Belüftungssystem. Die innovative Membran im Frontteil sorgt für eine kontinuierliche Luftzirkulation. Über einen Reißverschluss im unteren Bereich des Schlafsacks kann zudem schnell auf Temperaturschwankungen – etwa bei einem fiebernden Kind – reagiert werden. Der Schlafsack wird aus Supima Baumwolle hergestellt, die in den USA unter ressourcenschonenden Bedingungen angebaut wird und den Textilien lange Haltbarkeit verleiht. Auch die erste Babywear-Kollektion des Herstellers aus Höxter wird aus 100 % Bio-Baumwolle gefertigt und kommt den Wünschen umweltbewusster junger Käufer entgegen. Alle 17 Artikel sind als Unisex-Modelle in frischen Farben für Jungen wie Mädchen gleichermaßen konzipiert. Mit der Bekleidung erweitert Alvi sein bisheriges Sortiment aus Bettwaren und Baby-Schlafsäcken.
Mit eingebauter Power
Nicht selten geben kleine Details den Ausschlag für die Kaufentscheidung. Besonders praktisch finden junge Eltern sicher die eingebaute Power Bank im Maxi-Cosi-Kinderwagen Fame. Damit bleibt das Smartphone auch unterwegs immer geladen. Zur Sicherheit trägt das LumiRide LED-Beleuchtungssystem am Rahmen bei, das am Abend dunkle Wege ausleuchtet und auch den Wagen selbst sichtbar macht. Rückenschonend für die Eltern ist der höhenverstellbare Aufsatz des Fame, wodurch das Kind mühelos in den Wagen gesetzt und wieder herausgehoben werden kann.
Kinderwagen aus dem Baukasten
Der bayerische Outdoor-Buggy-Spezialist tfk (Trends for Kids) kündigt eine Veränderung beim Markenkern an: Der Fokus auf Funktionalität und Robustheit für Outdooraktivitäten wird erweitert. Künftig sollen auch „urbane Sportenthusiasten“ als Zielgruppe angesprochen werden. Die neue Kollektion spiegelt im citytauglichen Vierrad-Kinderwagen mono4 bereits deren Lifestyle wider. Um den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Klientel noch mehr zu entsprechen, haben Inhaber Oliver Beger und sein Team den sogenannten tfk-Konfigurator geschaffen. Über einen modularen Baukasten können Kunden verschiedene Gestelle, Räder, Farben, Stoffe, Kombi- und Sport-Einheiten nach dem Mix & Match-Prinzip auswählen, um sich den ganz persönlichen Traumkinderwagen zu basteln. Dank 3D und Augmented Reality kann das Wunschmodell am Smartphone, Tablet oder PC in verschiedenen Farbkombinationen erstellt und gleich getestet werden, ob es in den eigenen Kofferraum oder den Hausflur passt. Durch die modulare Zusammenstellung sind Ersatzteil- oder Zusatzbestellungen möglich, z. B. dann, wenn sich weiterer Nachwuchs ankündigt.
Eine weitere Messeneuheit in Köln wird ein tfk-Kinderwagen in Kooperation mit dem Automobilhersteller Audi sein. Hier werden gezielt die Fans schneller Fahrzeuge ins Visier genommen.
Auch bei Recaro Childsafety wird der Premium-Autokindersitz Axion 1 mit einem Design aus der Welt der Sportwagen auf den Markt kommen. Unter den Farbvarianten soll es auch eine Pepita Heritage Version geben – in Anlehnung an das ikonische Stoffmuster des Porsche 911 aus den Sechzigerjahren. Recaro Childsafety – nun beim Lizenzpartner Avova im Bereich Autokindersitze und Kinderwagen – will damit zur Ursprungs-DNA der Marke zurückkehren. Die Sitze werden weiterhin überwiegend in Deutschland hergestellt. Die hohe Nachfrage und auch das Angebot von modularen Systemen bei den Autokindersitzen, bestehend aus Babyschale, Basis und Reboarder, nehmen weiter zu, so die Einschätzung von Dr. Alessandro Zanini. Auch mitwachsende Modelle erfreuen sich weiter großer Beliebtheit.
Boxenstopp am Wickeltisch
Auch Rotho Babydesign setzt auf europäische Herstellung, um den umweltfreundlichen Ansatz bei den Kunststoffprodukten weiter auszubauen. Die Kernkompetenz des Unternehmens liegt im Bereich Baden, Toilettentraining und Wickeln. Neu ist nun der Fokus auf Artikel für die Aufbewahrung. Gemäß der Zero-Waste-Vision der Rotho Gruppe, zu der das Unternehmen gehört, bestehen nahezu alle Aufbewahrungsprodukte bis zu 100 Prozent aus recyceltem Kunststoff und sind ebenso wieder zu 100 Prozent recycelbar. Mit dem Windeleimer, dem Wickeltisch-Organizer und dazu passenden Multi-Boxen der KAYO-Linie liegt am Wickeltisch alles griffbereit an seinem Platz. Die Produkte kommen in dezenten und zeitlosen Farben, die sich stilvoll in die Wohnumgebung einfügen
Interesse an 3D und AR wächst
Um den Kunden die Produkte lebensnah zu präsentieren, setzen renommierte Marken, aber auch aufstrebende Labels immer öfter auf interaktive 3D-Darstellung und Augmented Reality. tfk hebt das Thema mit seinem 3D-Produktkonfigurator auf eine neue Ebene, Britax Römer intensiviert den Einsatz von 3D & AR im Vertrieb, und Maxi-Cosi bindet ganze Märkte und deren Händler durch QR-Codes an Schaufenstern und am Point of Sale in diese Technologie ein. Stefan Eipeltauer, Inhaber der auf die Babyartikel- und Spielwarenbranche spezialisierten Agentur ARkid, erklärt: „Das Interesse an der Nutzung von 3D und AR wächst bei Marken und Händlern stetig. Typischerweise wird die Implementierung zunächst im Online-Bereich erwogen und dann auf den stationären Handel ausgeweitet.“
Gegen die Rosa-Hellblau-Falle
Absolut zeitlos und über den Trends stehend sind Themen wie die Gleichberechtigung der Geschlechter, die nach Ansicht von Corinna Links, Geschäftsführerin der Kindsgut GmbH, bereits im Kinderzimmer beginnt. Im Juli hat das Berliner Spielwarenunternehmen den Launch seiner Bildungsinitiative „Farben sind für alle da“ gefeiert. „Wir haben die Verantwortung, stereotype Rollenbilder zu hinterfragen und unseren Teil dazu beizutragen, dass jedes Kind seine individuelle Persönlichkeit frei entfalten kann“, fordert Corinna Links. „Durch die bewusste Gestaltung unserer Produkte können wir inspirierende und vielfältige (Spiel)Welten schaffen, die frei von Geschlechterklischees sind. Gemeinsam können wir den Teufelskreis des Gendermarketings durchbrechen und eine Zukunft gestalten, in der Gleichberechtigung niemals aus dem Trend kommt.”