Markenpflege durch Retro-Lizensierung

Retro ist weiter im Trend. Bei Lizenz-Kooperationen mehr als irgendwo sonst. Wer auf der Suche nach Brands ist, orientiert sich an den 80er- und 90er-Jahren. Doch sollten alle Branchenteilnehmer sich auch der Dynamiken bewusst sein, die zu einem solchen Boom führen.
Man konnte schon etwas überrascht sein, als man im Juni dieses Jahres vor der Rednerbühne der wichtigsten Licensing-Branchenveranstaltung im deutschsprachigen Raum saß – der BRANDmate. In einem durchaus hochkarätig besetzten Panel diskutierten die Teilnehmer über Fandoms, Brands und Subkulturen. Gleich zu Beginn wurde eine Expertin aus dem Verlags- und Veranstaltungssektor um eine Stellungnahme zum „Kidult“-Begriff gebeten.
Als sei sie auf etwas sehr unappetitliches Thema angesprochen worden, schien sie das Mikrofon mit spitzen Fingern anzufassen und antwortete mit spürbarer Distanz, das Ganze sei ja nicht so leicht zu greifen. „Mit 15 fängt es ja schon an – da ist man nicht mehr so richtig Kind aber auch noch nicht wirklich erwachsen“. Darauf war man im Publikum nicht vorbereitet und ließ es erstmal sacken. Gleich würde schon jemand auf der Bühne das Missverständnis aufklären und klarstellen, dass Kidults nicht viel mit Adoleszenz-Romanen zu tun haben.
Doch in diesem Moment ergriff ein Mitdiskutant, hauptberuflich im Handel arbeitend, das Wort und schien das ganze sogar noch bekräftigen zu wollen mit einem herzhaften: „Das ist doch sowieso nur irgendein Begriff, den man sich in irgendeiner Marketingabteilung ausgedacht hat.“ Das generierte einige anerkennende Schmunzler. Es folgten diverse Anekdoten – mal hilfreich, mal nebensächlich – und am Ende schipperte man mit der Losung „jedem seine Lieblingsmarken“ gemeinschaftlich im sicheren Hafen ein. Vorbei war die Podiumsdiskussion.

Die Kaufkraft ist entscheidend
Deutlich wird, dass es selbst in der Branche das Bewusstsein um Zielgruppen, um Kaufkraft und um dynamische Prozesse, denen eine Industrie unterliegt, nicht flächendeckend ausgeprägt ist oder zumindest nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Denn mitnichten ist der Begriff „Kidult“ die neueste Marketing-Sau, die seit ein paar Jahren durchs Dorf der Wertschöpfung getrieben wird. Noch hat ihn sich ein entrückter Marketer ausgedacht, dem ansonsten langweilig gewesen wäre.
Und erst recht ist Kidult kein Synonym für pubertierende Menschen. In finanzieller Hinsicht ist eher das Gegenteil der Fall. Denn während die meisten 15-Jährigen noch am Tropf des Taschengeldes hängen, verfügen die echten Kidults, also jener Teil der arbeitenden Bevölkerung, der sich nach wie vor ein gewisses Augenmerk auf die Marken der eigenen Kindheit genehmigt, über eine immense Kaufkraft. Und damit ist sie es, die die Richtung in vielen Bereichen der internationalen Produktschöpfung vorgibt.
Emotionale Bindung zu Marken der eigenen Kindheit
In einem Beitrag auf unserem „roten“ BRANDORA-Kanal Spielwaren Insights haben wir dargestellt, inwiefern die Kidults dafür sorgen, dass die wichtigsten Marken im internationalen Spielwarenmarkt allesamt aus den 1980er- und 90er-Jahren stammen. Das ist also mindestens 30 Jahre her und versetzt man sich in diese Zeit zurück, so hatten damals Marken aus den 50er- und 60er-Jahren nicht annähernd den gleichen Stellenwert.
Kidults sind also Menschen zwischen 25 und 50 Jahren, die Verantwortung tragen, Haushalte führen, Vollzeit-Gehälter beziehen und dabei trotzdem die emotionale Bindung zu den Marken ihrer Kindheit aufrechterhalten. Sei es für den Eigengebrauch oder in Projektion auf den Nachwuchs. Kidults sind keinesfalls Marketing-Gedöns oder ein naturgegebener Dauerzustand, der eben mal ein neues Label bekommen hat. Vielmehr sind sie das Ergebnis vieler parallel stattfindender soziologischer Entwicklungen.

Noch wird die Kuh gemolken
Wer mit Marken arbeitet, sollte sich dessen bewusst sein. Genauso wie der Tatsache, dass sich dieser Zustand auch wieder ändern kann. So ist die gelebte Verbundenheit zu Retromarken in gewisser Hinsicht immer auch Ausdruck eines gewissen Wohlstands. Sollte dieser anhaltend weiter sinken, so wird man sehen, wie sich dies auf den Absatz von Funko Pops auswirkt. Auch politische Strömungen, mit denen gewisse Ansichten darüber einhergehen, wie sich Volljährige zu verhalten haben, könnten das Konsumverhalten hier beeinflussen.
Doch dieser Tag ist noch längst nicht gekommen. Noch befinden wir uns in dem Zeitabschnitt, in dem es darauf ankommt, die Nostalgie-Kuh möglichst effektiv zu melken. Der Triumphzug der Retromarken beschränkt sich dabei natürlich nicht auf den Toy-Sektor, sondern lässt sich auf die meisten Branchen ebenso anwenden.
Der Textil-Discounter Primark führte bis vor kurzem noch Scooby-Doo-T-Shirts in seinem Sortiment. Diese werden mittlerweile auf Handelsplattformen für ein Vielfaches des Originalpreises angeboten. Dafür ist der Cartoon-Hund nun eine Klasse höher angekommen und wird auf T-Shirts von H&M verkauft. Noch mehr retro sind die Peanuts. Sie begehen demnächst ihr 75-jähriges Jubiläum. Zur Feier gibt es Lizenz-Kooperationen mit diversen Textilherstellern von Kipling über Diadora bis Benetton.

Quer durch die Industries, quer durch die Preissegmente
Zur Relevanz von Retro-Marken für den Entertainment-Sektor muss man wohl nur noch wenige Worte verlieren. Nicht nur werden gefühlt wöchentlich neue Ableger der Multi-Milliarden-Dollar Franchises Marvel, DC und Star Wars auf den Markt gebracht. Tatsächlich reißen sich Filmstudios in jüngerer Zeit regelrecht um die Neuverfilmungen alter Klassiker. Dabei wird auch vor eher obskureren Perlen wie Roadhouse, Highlander oder die Reise ins Labyrinth nicht Halt gemacht.
Es bleibt dabei: Retro-Marken bestimmen den Markt – quer über die Industries hinweg. Wer Lizenzkooperationen sucht, orientiert sich derzeit an den Geburtsjahrgängen zwischen 1975 und 1995. Als Beweis, dass dies bis zum Hochpreis-Segment reicht, sei der Scheinwerfer ein letztes Mal zurück auf den Spielwaren-Sektor gewendet: Denn wenn der neue „Star Wars“ Todesstern von Lego aus fast tausend Teilen besteht und fast tausend Euro kostet, dann ist eins klar: Mit dem neuen Prestige-Produkt von Europas größtem Spielwarenhersteller wird gewiss kein Kind spielen. Auch kein 15-jähriges.
