Wer glaubt, Kultur und Traditionen seien in der modernen Wertschöpfung zu vernachlässigen, der irrt gewaltig. Vielmehr sind die beiden Begriffe generations- und regionsübergreifend die Grundlagen für jedes Konsumentenverhalten. Erst durch den Dreiklang mit dem Begriff „Trends“ werden sie für die Lizenzbranche komplettiert. Warum Lizenzgeber und Lizenznehmer immer auch ein Stück weit Kulturkenner sein müssen, verrät unser Licensing Post Leitartikel.
Was hat die Arbeit in einem Licensing Office mit der Arbeit in einer renommierten Restaurant-Küche gemeinsam? Es wird regional gekocht und es wird saisonal gekocht. Warum dieser, auf den ersten Blick etwas krude, Vergleich stimmt und gleichzeitig nicht stimmt – wir kommen später darauf zurück, versprochen!
Aus der Schlagzeile des vorliegenden Beitrags ergibt sich zunächst einmal die Frage, ob Lizenzmanager in gewisser Weise verkappte Anthropologen sein müssen. Dies mag ein bisschen hoch gegriffen erscheinen. Doch wer glaubt, Kultur und Traditionen fristeten ein Nischendasein in der heutigen global vernetzten Welt, die vom schnellen Informationsfluss geprägt ist, der irrt gewaltig.
In seinem Vortrag „Kultur und Verwaltung“ von 1959 definiert Theodor W. Adorno „Kultur“ als Sammelbegriff für „Philosophie und Religion, Wissenschaft und Kunst, Formen der Lebensführung und Sitten, schließlich des objektiven Geistes eines Zeitalters.“ Sprich: Alles, was der Mensch der Natur, den Trieben, entgegengesetzt hat, alles, was unser zivilisatorisches Leben prägt, kann man als Kultur ausweisen.
Trend versus Tradition?
„Die Zusammenfassung von so viel ungleichnamigem (…) unter dem einzigen Wort ‚Kultur‘ verrät den administrativen Blick, der all das von oben her sammelt, einteilt, abwägt, organisiert.“, so Adorno weiter. Mit ein wenig naiver Distanz gelesen und reichlich Verkürzung in Kauf genommen, kommt man kaum um den Gedanken umhin, dass der berühmte Denker hier bereits ein Jobprofil für Lizenzprofis erstellt hat. Denn der Überblick über die Dinge, die eine Gesellschaft bewegen, ist die Grundlage jeglicher Produktschöpfung und jede IP ist letztlich ein Produkt ihrer jeweiligen Kultur.
Wenn „Kultur“ das große Buch des gesellschaftlichen Lebens ist, dann sind die „Traditionen“ seine Kapitel. Denn ganz gleich, wie viele Tiktok-Trends scheinbar aus dem Nichts hervorschießen: Keiner davon verdrängt die Traditionen, die generationsübergreifend in der Codierung einer Gesellschaft verankert sind. Im Gegenteil: Viele Trends beziehen sich sogar auf etablierte Traditionen. So kam es, dass Anfang der 2010er-Jahre auf dem Fundament einer Jahrhunderte alten Tradition, tief verwurzelt in der westlichen Kultur, der Trend der Ugly Christmas Sweater gedieh. Bis heute eine zuverlässige Cashcow für jeden Inhaber einer einigermaßen attraktiven IP sowie für spezialisierte Lizenznehmer aus dem Textil-Sektor.

Folklore als Exportschlager und lokaler USP
Einen ähnlichen Stellenwert wie Weihnachten hat in den USA seit jeher Halloween. Diesseits des Atlantiks ist der schaurige Volksbrauch erst seit etwa 20 Jahren etabliert. Vorausschauende Licensing Manager haben damals frühzeitig entscheidende Weichen gestellt. Die Bedeutung der gruseligen Nacht ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor im Aufstieg begriffen. Wer weiß schon, welches saisonale Volksfest aus anderen Kulturkreisen als nächstes großflächig adaptiert wird – Erntedankfest? Sommersonnenwende?
Kulturelle Phänomene können aber nicht nur saisonal eingekreist werden, sondern auch regional. Man denke nur an den Freistaat Bayern. Die dortige Verbundenheit zum folkloristischen Brauchtum ist längst zum USP und auch zum Exportschlager geworden. Selbstredend ein brandheißes Eisen in vielen Lizenz-Kochtöpfen. Wer Produkte mit den Labels „Oktoberfest“ oder „Wiesn“ vertreiben will, der muss sich an den von öffentlicher Hand benannten Lizenzgeber wenden.

Geschickt platzierte Grenzüberschreitungen
Die zuletzt verwendeten Begriffe „Lizenz-Kochtopf“ und „Exportschlager“ spannen an dieser Stelle den Bogen zurück zur Küchen-Metapher. Ja, im Lizenz-Geschäft wird saisonal und regional gekocht. Auf der anderen Seite aber wiederum auch nicht. Schließlich werden die Grenzen immer weicher. Saisonal erscheinen die meisten Weihnachts-Editionen zwar passend im Winter, jedoch muss das Kunststück vollbracht werden, Marketing und Vertrieb bereits im Sommer zu organisieren.
Regional hingegen gibt es immer wieder überraschende Adaptionen. Man denke nur an einen Weihnachtsboom in buddhistisch geprägten Fernost-Märkten. Auch Subkulturen schaffen im Zeitalter der Globalisierung immer wieder den Sprung auf benachbarte Kontinente. Ob japanische Verbraucher plötzlich den westlich geprägten Rockabilly-Style übernehmen oder europäische Kidults im Anime-Fieber verhaftet bleiben: Die Opportunitäten sind gigantisch. Reizpunkte durch wohl geplante Grenzüberschreitungen zu setzen, ist eine Königsdisziplin im professionellen Licensing.
