„Es braucht einen Bundestagsbeschluss“ – Prof. Jens Junge über kulturpolitische Anerkennung von Spielen

Seit 2014 setzt sich Professor Jens Junge, Leiter des Instituts für Ludologie, intensiv dafür ein, dass Spiele in Deutschland kulturpolitisch als Medienwerke anerkannt werden. Mit der Stiftung Spielen streitet er für eine faire Vergütung der Spieleautoren sowie für eine Archivierung, die eines fundierten wissenschaftlichen Umgangs angemessen ist. Wie schwierig sich der Diskurs mit der Politik bislang gestaltet, verrät er in unserem aktuellen BRANDORA-Interview.
Warum müssen Gesellschaftsspiele Ihrer Meinung nach als Medienwerke anerkannt werden?
„Medienwerk“ ist in der Deutschen Nationalbibliothek die kulturpolitische Definition für das, was für die Nachwelt zu archivieren und zu dokumentieren ist. Werke, die der Forschung zur Verfügung gestellt werden, an denen ein Zeitgeist sich abbildet und an denen man sehen kann, welche Normen und Werte wie kommuniziert werden und wie das Stimmungsbild einer Gesellschaft ist. Bisher gehören vor allem Bücher, Filme und Musik dazu. Hinter all diesen Werken stecken Urheber – kreative Menschen. Dazu gehören eben auch Autoren von Brettspielen. Urheberrechtlich werden diese bereits gleichwertig behandelt. Aber kulturpolitisch herrscht nach wie vor die Situation, dass ihre Werke nicht anerkannt sind und sie daher auch keine Tantiemen seitens der VG Wort erhalten – beispielsweise wenn Spiele in Bibliotheken ausgeliehen werden.
Sie setzen sich also in erster Linie für die ökonomischen Interessen von Spieleautoren ein?
Dies ist eine Interessengruppe. Aber ich stehe natürlich auch für die Wissenschaft ein. Bevor unsere angehenden Gamedesigner etwas programmieren können, müssen sie in den ersten Semestern Brettspiele und Kartenspiele entwickeln, um 5.000 Jahre Menschheitsgeschichte nachvollziehen zu können. Das geht auch soweit, dass sie verstehen müssen, wie gewisse historisch relevante Inhalte in Spielen aufbereitet wurden. Hierfür ist eine Lehr- und Forschungsdatenbank in Form einer handfesten Sammlung, eines Archivs, nötig, so wie es auch die Deutsche Gesellschaft für Spielwissenschaft mit über 170 Professorinnen und Professoren fordert.
Wie behilft sich die Wissenschaft diesbezüglich bislang?
Mit meinem Institut haben wir über 82.000 Spiele zusammengetragen. Einige großzügige Privatpersonen haben uns hierzu ihre Sammlungen überlassen. Wir versuchen also, in privater Initiative den Archivierungsaufwand zu leisten, den die öffentliche Seite bisher nicht erbringen kann. Die gesammelten Spiele wollte ich der Deutschen Nationalbibliothek gern schenken, doch diese wehrt sich seit drei Jahren mit Händen und Füßen gegen das Thema Spiele. Dies trifft übrigens genauso die digitalen Spiele – die ja an anderer Stelle mit Millionenbeträgen gefördert werden.
Wer ist hier Ihr Verhandlungspartner auf der politischen Seite?
Letzten Endes ist es der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), der zum Bundeskanzleramt angehört. Das war bis vor kurzem Claudia Roth, inzwischen hat Wolfram Weimer die Position inne. Er verantwortet auch das Budget für die Deutsche Nationalbibliothek. Unter Frau Roth waren uns wenigstens gewisse Projektgelder zugesagt worden, doch mit dem Aus der Ampelkoalition ist dies geplatzt. Nun stehen wir wieder bei Null. Das vorhandene Budget will man komplett für die bestehenden Institutionen aufwenden. Unsere Gesprächsanfragen werden bislang abgeblockt und wir müssen nun andere Wege finden, um uns politisch zu nähern.
Welche Argumentation gegen die Anerkennung von Spielen als Medienwerke wird in diesem Diskurs bislang aus dem Kanzleramt geliefert?
Auf der operativen Ebene sehen es eigentlich alle ein. Doch sobald man zur Entscheidungsebene vordringt, sieht es anders aus. Unter dem BKM gibt es eine Abteilungsleitung, die sich dagegen wehrt, überhaupt über das Thema zu sprechen – letztlich, weil man kein Geld aufwenden will. Offiziell hört und liest man dann aber Formulierungen wie „Warum soll sich der Staat dort einmischen? Sie haben es doch bis jetzt auch privat hervorragend geregelt. “Doch diese Argumentation hinkt natürlich in vielerlei Hinsicht. So hätten wir überhaupt nicht die personellen Ressourcen, alle Daten aufzunehmen und sie an VG Wort zu senden. Auch stellen uns die Verlage ihre Exemplare jeweils auf freiwilliger Basis zur Verfügung – wozu eben nicht jeder Verlag bereit ist.
Wen genau meinen Sie, wenn Sie von „wir“ sprechen? Wie sind Sie in diesem kulturpolitischen Diskurs organisiert?
Gemeinsam mit Carol Rapp von der Messe „SPIEL“ und Karin Falkenberg als ehemalige Leiterin des Spielzeugmuseums in Nürnberg haben wir die Stiftung Spielen gegründet, die auch Eigentümerin der genannten Sammlung ist. Die Stiftung setzt sich dafür ein, dass der Diskurs weitergeht. Im Moment lebt sie von Spenden und von ehrenamtlichem Engagement. Auf Seiten der Spieleautoren ist Christian Beiersdorf von der Spiele-Autoren-Zunft unser Mitstreiter.
Welche Perspektive sehen Sie derzeit für das Gelingen Ihres Ziels?
Wir Spieler kennen die Prinzipien: „Mal verliert man, mal gewinnt man“ und „neues Spiel – neues Glück“. In diesem Sinne bleiben wir natürlich dran. Seit der letzten Wahl haben wir neue Abgeordnete als Gesprächspartner. Hier gilt es, im Dialog zu bleiben und über dieses juristische Defizit zu informieren. Den Blockaden der Verwaltungsebene muss man mit politischem Druck begegnen. Es braucht einen Bundestagsbeschluss. Natürlich haben wir auch ein alternatives Konzeptin der Spielestadt Altenburg vorbereitet, sollte sich die Archivierung in der Nationalbibliothek langfristig nicht organisieren lassen. Dazu sind wir mit Politikern verschiedener Fraktionen im Gespräch