Die Sache mit dem Zweipunktnull: Von technologischen Beschleunigern und wirtschaftlichen Bremsern der Lizenzbranche
Geht alles immer nur noch steiler in der Lizenzbranche? Dreht sich das Karussell immer nur weiter und schneller? Ja und nein. Dem digitalen Schwindelflug, der alle modernen Lizenzmanager täglich vor Herausforderungen stellt, stehen wirtschaftliche, soziale und politische Faktoren gegenüber, die teils kräftig entschleunigen oder sehr schwer zu berechnen sind. Ein Spannungsfeld, in dem guter Rat teuer ist.
Vor einigen Jahren, noch bevor es zur Pflichtübung wurde, auf jeder Firmenwebsite „Powered by AI“ unterzubringen, gab es eine andere Formel. Damals ließ jede/r die eigene Dienstleistung, den eigenen Pitch oder die eigene Präsentation wie eine Software aussehen. Man fügte wahlweise ein „1.1“ an, was ein Update symbolisierte, ein „2.0“, was auf eine neue Version hinwies oder aber ein „4.0“, was irgendwie sagte, dass jetzt alles digitaler ist.
Ob nun Zweipunkt- oder Vierpunktnull: Für die Licensing-Branche lässt sich definitiv festhalten, dass die Welt sich seit einigen Jahren deutlich schneller dreht als zuvor. Zu jeder Zeit Schritt zu halten, ist eine Herkules-Aufgabe für die Licensing Manager dieser Welt.
Licensing der alten Schule
Um die Herausforderung der Schönen Neuen Markenwelt zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf das „Licensing 1.0“, wie es gute 60 bis 70 Jahre lang funktioniert hat: Eine erfolgreiche Marke erkannte man damals an vielen verkauften Büchern, Kinokarten oder wahlweise auch Hörspielkassetten. Wer damit ein Lizenz-Produkt schöpfen wollte, stellte eine Anfrage. Es folgten ein gemeinsamer Vertrag und ein glücklicher Konsument, der seine bevorzugte IP nun auch auf T-Shirts, Schreibblöcken oder Sonnenschirmen sehen und zeigen konnte. Dies war die Welt, in der ein Großteil der heute noch tätigen Akteure in der Branche Fuß fassten. Mit Vertragsabschluss hieß es außerdem noch: Werben, was das Budget hergab – ob TV, Print oder Kino.
Doch schon hier sind wir an der Schwelle angelangt, welche die alte Welt von der neuen trennt. Denn die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre markiert nicht bloß einen technologischen, sondern einen geradezu evolutionären Schritt. Während mediale Innovationen bis dato für besseren Empfang, längere Lebensdauer oder höhere Kapazitäten sorgten, wurde der Mensch mit Etablierung mobiler Endgeräte zum jederzeit universal vernetzen Subjekt. Wir sind 24/7 auf Empfang – oder gar auf Sendung – und das Angebot ist unendlich.
Digital Natives bleiben nur acht Sekunden aufmerksam
Entsprechend ändert sich natürlich das Nutzerverhalten der heranwachsenden Zielgruppen. „Die Generation Z, also Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden, wuchsen in der Zeit auf, als sich die sozialen Medien etablierten. Für sie sind es Werkzeuge“, sagt Ute Stauss vom Branchenverband Licensing International. „Für die nachfolgende Generation Alpha sind sie eine Lebensweise.“
Doch wäre es Zeitverschwendung, sich über „Generation TikTok“ und ihre erwiesene Aufmerksamkeitsspanne von lediglich acht Sekunden zu beklagen. Statt Distanzierung suchen moderne Licensing Departments vielmehr die Nähe zu den Bedürfnisträgern der Gegenwart und Haushaltsvorständen der Zukunft. Das Handy brauchen die heutigen Grundschüler nicht nur für die zahlreichen Unterrichtsausfälle. Es macht sie auch alle zu potentiellen Content Creators.
Endkunden werden zu Content Creators
Dafür muss man keine hochwertigen YouTube-Videos schneiden können. Von Instagram über Pinterest bis zu Roblox gibt es zahllose Formate und Plattformen, in denen Zielgruppen sämtlicher Altersklassen sich täglich vor der Netzgemeinde ausdrücken. Letztlich ist jeder Schüler in einer Whatsapp-Gruppe ein potentieller Meinungsmacher.
Der moderne Mensch bewegt sich ständig in drei Welten: als Konsument in der analogen, als Teilhaber in der digitalen und als Produzent in der virtuellen Welt. Diese Welten verlaufen parallel und zunehmend werden ihre Grenzen aufgeweicht. Deshalb ist das moderne Licensing Department in seinem Bewusstsein der Wertschöpfungskette schon längst darüber hinaus, lediglich die Menge an verkauften T-Shirts, Schreibblöcke oder Sonnenschirme zu zählen. Auch die monetäre Vergütung durch Klicks ist nicht das Ende der Fahnenstange. Brand Enrichment, Brand Excitement und Brand Recognition sind Begriffe, die vermehrt die Runde machen. Hinter all diesen Termini steht letztlich die Frage: Wie relevant ist deine Marke? Relevante Marken werden immer profitabel sein. Nur ist es heutzutage deutlich komplexer, Relevanz zu schaffen.
Virtuell und virtuos: Licensing in der Meta-Meta-Meta-Ebene
Komplex ja, aber nicht unmöglich. Als Best Practice kann Funko herhalten, die wir zuletzt schon in einem BRANDORA-Leitartikel als clevere Licensing Allzweck-Waffe gelobt haben. Denn schon die Ursprungs-Idee des Unternehmens aus Everett, Washington hat gut funktioniert: Diverse beliebte IPs zu lizenzieren und mit ihnen die markanten „Pop!“ Figuren zu prägen. Das just erschienene Videospiel „Funko Fusion“ jedoch ist eine Licencing-Masterclass und zeigt, dass man die Klaviatur der beschriebenen drei Consumer-Welten wirklich verstanden hat.
Denn nicht nur spielt man die virtuellen Varianten von Puppen, deren Reiz es ursprünglich war, digitale Charaktere in die analoge Welt zu bringen. Man greift im Spiel auch die ikonischen Verpackungen aus einem virtuellen Regal – womit der Bezug zum physischen Point of Sale wiederum geschaffen ist. Meta-Meta-Meta-Ebene also. Natürlich sind diverse Klassiker aus Film und Fernsehen gern dabei, wodurch Funko Fusion zu einem popkulturellen Potpourri für den Endkunden und zu einer beliebten Werbefläche für Lizenzgeber wird.
Nicht alles ändert sich
Auf einem ganz anderen Blatt steht allerdings der Rattenschwanz, den dieses Projekt nach sich ziehen wird. In Discord-Chats, Let’s Plays oder Webtalks werden hunderttausende Nutzer ihrerseits zu Markenbotschaftern – sowohl für Funko selbst als auch die vielen Brands, die in dem Game mitmischen. Der so entstehende Content bietet wiederum Fläche für diverse Sponsoren. Es ist ein weites Feld.
Die gute Nachricht: Die Schöne Neue Markenwelt ist trotz aller digitalen und virtuellen Komplexität trotzdem durchdringbar. Einige Kernaufgaben bleiben unverrückbar so, wie sie auch Lizenzmanager jenseits der 40 oder sogar 50 seit jeher gewohnt sind: Der Lizenzgeber wird sich auch weiterhin um die Verträge und Brand Assets kümmern. Er wird Styleguides aufsetzen und sich nach wie vor um das Marketing-Fundament kümmern. Ein Team im Office des Lizenzgebers wird weiterhin Agenturen und Lizenznehmer betreuen.
Auf Seiten der Lizenznehmer steht weiterhin das Sales-Monitoring ganz oben auf der Prioritäten-Liste. Der Lizenznehmer erweitert die Markenwahrnehmung und trägt für die Produktion sowie die Einhaltung der Qualitätsstandards Sorge.
Die Kehrseite von Licensing 2.0
Zu den Erscheinungen von Licensing 2.0 gehören neben allen technologischen Empowerments schließlich auch analoge Faktoren, die den scheinbar so hoch-dynamischen Prozess konterkarieren und extrem schwer einberechnet werden können. So haben Verzögerungen in den Lieferketten schon so manchen pfiffigen Lizenz-Deal zunichtegemacht, wenn doch eigentlich ein Trend aufgeschnappt und Geschwindigkeit geboten war.
Die Ursachen können von Rohstoff-Knappheit über Handels-Embargos bis hin zu handfesten Krisen reichen. Bei Prognosen am Kapitalmarkt wird schon längst der „Angst-Index“ miteinberechnet. Gleiches dürfte im Lizenz-Geschäft schwierig sein, selbst wenn man politisch-soziologische Expertise inhouse hätte. Bislang bleibt in der Regel nur die Losung, möglichst schnell auf unvorhergesehenes reagieren zu können. Ein prominentes Beispiel ist aktuell die „Surfer Boy Pizza“, die in der Kult-Serie Stranger Things präsentiert wurde und in diesen Wochen in die Tiefkühl-Abteilungen deutscher Retailer wandern sollte. Niemand hatte mit dem Autorenstreik in Hollywood gerechnet, durch den die finale Staffel der Serie bis auf weiteres verschoben wird.
Traditionelle Aufgabenteilung wahren, Innovationen fördern, komplexes Zusammenspiel von virtueller und analoger Welt überblicken und zeitgenössische Problemstellungen antizipieren: Es scheint, als müsse in den nächsten Jahren so manche Lizenz-Abteilung personell und disziplinär noch zulegen.