Seit 50 Jahren aufregend gemein Als das Spiel 1960 erschien, war so mancher Zeitgenosse empört: Eine leicht bekleidete Dame an der Seite eines finsteren Revolverhelden – so ein Cover war für die damalige Zeit unerhört. Und das galt auch für das das Spiel: Nicht nur selbst schnell ans Ziel kommen, sondern mit Hilfe von Barrikade-Steinen auch noch Gegner behindern. All das war starker Tobak. Und ein Riesenerfolg. Spielforscher Prof. Rainer Buland erklärt, warum.
|
|
Als das Spiel mit dem skurril-verruchten Cover vor 50 Jahren auf den Markt kam, war es sogleich vergriffen. Die Zeit war reif für ein Spiel, das den braven Rahmen sprengte. Es hielt, was die ungewöhnliche Aufmachung versprach: Die starre Einförmigkeit, wie man sie aus anderen Laufspielen kannte, war überwunden. Werte eines hoch dynamischen Wirtschaftswunderlandes wurden überspitzt: Jetzt hieß es: Nicht mehr nur nach vorne schauen und möglichst schnell ans Ziel kommen. Jetzt zog man seine Steine auch seitwärts und rückwärts und schlug Konkurrenten in jeder Richtung. Hindernisse räumte man nicht einfach aus dem Weg, man nutzte sie, anderen den Weg zu versperren. Die bis dato harmlos vor sich hinwürfelnde Gemeinde zerfiel in eine Horde fieser Banditen. Und die hatten unerhörten Spaß.
Professor Buland: „Dem anderen ein Bein stellen“ Spielforscher Professor Rainer Buland von der Universität Mozarteum Salzburg erklärt den Reiz dieses Spiels mit der „Schadenfreude, die jeder an sich beobachten kann, wenn es darum geht, dem anderen ein Haxl zu stellen“. Außerdem lautet der vielleicht triftigere Grund: „Wir dürfen das auch - und es hat keine schwerwiegenden Folgen.“ Das Familienspiel sei „der einzige Ort, an dem sich Eltern und Kinder auf Augenhöhe begegnen können“. Die Kinder genießen Buland zufolge „innerhalb der Spielregeln dieselben Freiheiten wie die Erwachsenen, und sie haben die gleichen Chancen auf den Sieg“. |
Wie aus „Räume oder Warte!“ ein genialer Titel wurde Erfinder des Spiels war Werner Schöppner, Angestellter in einer Essener Großbäckerei. Der damals 26-Jährige bot seine Idee unter dem Titel „Räume oder Warte!“ drei Verlagen an. So stolz wie unbeholfen formulierte er: „Ich habe ein Unterhaltungsspiel entwickelt, selbst gefertigt, und mit vielen Leuten gespielt. Das Spiel ist für alle Bevölkerungsschichten und Altersstufen in gleicher Weise nervenaufreibend spannend.“ Die eine Firma fand das Schreiben keiner Antwort wert, die nächste ließ wissen, so etwas passe nicht ins Programm. Aus Ravensburg erhielt Schöppner die Aufforderung, einen Spielplan für einen Test zu schicken. Karl Maier, der damalige Firmenleiter und Sohn des Unternehmensgründers Otto Maier, probierte das Spiel im Familienkreis und kam unverhofft auf den späteren Titel. Als er seiner Frau wieder mal den Weg verbaut hatte, schimpfte die: „Ja, du bist doch ein Malefiz!“ – ein Name, der Programm war: Ein „Malefizkerl“ ist laut Lexikon ein „Teufelskerl“, der vor einer „gelegentlichen Missetat“ (lat. maleficium) nicht zurückschreckt. Also einer, der einen ganz schön aufregen kann.
Genau das kann man heute wie damals zur Genüge, wenn einem wieder jemand im letzten Moment einen dieser runden, weißen Steine vor die Nase setzt und man dringend eine Eins braucht, um sich den Weg frei zu räumen. Was für ein Hochgenuss dann, wenn es gelingt, den Gegner kurz vor seinem Zieleinlauf an den Start zurück zu befördern und hinter sich die Schotten dicht zu machen.
Babyboomer trafen Großeltern Dass dieses hundsgemeine Spiel gerade Anfang der 70er einen wahren Boom erlebte und sich Jahr für Jahr weit über hunderttausend Exemplare verkauften, hat Prof. Buland zufolge einen einfachen Grund: „Die Babyboomgeneration der 60er kam in ein Alter, in dem sie mit den Großeltern Brettspiele spielen konnten“ - die Eltern kannten kaum welche. Das Prinzip von Malefiz® wiederum entsprach dem, was die Senioren noch aus ihrer Zeit kannten. Gleichzeitig war es einfach genug, dass es auch jüngere Menschen schnell verstehen konnten. Buland nennt außerdem einen sozialpsychologischen Grund: „Es war die Zeit, in der man in einer Leistungsgesellschaft wieder vermehrt auf Ellenbogentechnik setzte. Kompetitive Spiele erlebten eine Renaissance.“
Ein Cover, das ehrbare Leute erboste Ein solch streitbares Spiel brauchte auch eine passende Titelgestaltung. Der niederländische Grafiker Jan van Heusden hatte damals ein Bild entworfen, das „viele Betrachter heftig schockierte“, wie Erwin Glonnegger, ehemaliger Programmchef des Ravensburger Spieleverlages, bemerkte: Ein Räuber mit Pistole, schwarzem Hut, grimmigem Blick und einem gezwirbelten Schnauzbart; an seiner Seite jene Dame mit dem - für damalig Verhältnisse - tiefen Dekolleté; ein rauschebärtiger Professor mit Brille un seine brave Enkelin - das ging vielen zu weit. Aber dieses Titelbild war entscheidend für den Erfolg und hat bis heute seinen Reiz behalten. „Es verbindet auf ideale Weise spannende Dramatik, künstlerische Qualität und signalisiert die wichtigsten Produktinformationen: spannend, interessant, geeignet für vier Personen jeden Alters und Geschlechts.“ – so die Bewertung Glonneggers.
Wegbereiter für modernes Marketing Davon überzeugte Karl Maier die deutschen Spielefreunde gerne persönlich. Der Unternehmer fuhr in die großen Spielwarengeschäfte der Repub lik, schickte – als erster bundesweit - Mitarbeiter zu Verkaufsschulungen in die Läden, versandte hunderttausende Prospekte, gelangte in die größten Spielwaren-Kataloge. Der Erfolg war überwältigend: Kaum waren im August 1960 die ersten achttausend Exemplare hergestellt und ausgeliefert, war das Spiel vergriffen. Den damaligen Klassiker „Fang den Hut“, schon seit 1927 ein Top-Seller, hatte es schon bald überholt. Nach 20 Jahren waren bereits 3,5 Millionen Exemplare weltweit verkauft worden, heute sind es über fünf Millionen. Ein Erfolg, den nur wenige Brettspiele verbuchen können.
Lizenzausgaben erschienen in den USA unter dem Titel „Obstruction“, in den Niederlanden, in Schweden und Frankreich unter dem Namen „Barricade“. Bis heute hat das – übrigens preisgünstige – Malefiz® in vielen Ländern der Erde seinen Nervenkitzel behalten.
Nervenkitzel um die weißen Steinchen Eigentlich ist Malefiz® politisch unkorrekt: Es verwandelt friedfertige Zeitgenossen in hinterhältige Banditen. Auf dem gemeinsam benutzten Parcours blockieren sie andere, was das Zeug hält. Gnadenlos. Schadenfroh. Auch mal paktierend. Das ist so gemein wie aufregend - und sicherlich das Geheimnis, warum der Brettspielthriller auch 50 Jahre nach Erscheinen ein bewährtes Mitglied der Ravensburger Programmfamilie ist. Zwei Ideen unterscheiden das Spiel von traditionellen Laufspielen: Die eigenen Figuren laufen nicht stoisch in eine Richtung, sie können auch seitwärts und rückwärts gehen und aufdringliche Verfolger an den Start zurück befördern. Und: Hindernissteine versperren den Weg zum Ziel. Man kann sie nur mit der passenden Augenzahl beiseite würfeln. Doch statt die kleinen, weißen Barrikaden einfach aus dem Spiel zu nehmen, setzt man sie anderen vor die Nase. Des einen Freud, des anderen Leid. Wo im wahren Leben die Maxime Rücksicht heißt, darf man bei Malefiz® ungestraft gemein sein. Man muss sogar: Wer allzu bescheiden nur auf den eigenen Weg schaut, ist bald abgehängt. Also: Immer schön den lieben Mitspielern den Weg verbauen. Und vor allem dem vorauseilenden Konkurrenten, der die Partie gleich beenden könnte. Schnell noch ein, zwei Steine vor seine Füße werfen, da soll er nur schimpfen: „Ja, du bist doch ein Malefiz!“ |