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Sie unterrichten Ihre Studenten an der Hochschule unter anderem in memo-Techniken. Eigentlich müssen Sie ein tolles Gedächtnis haben? Dachte ich auch für lange Zeit. Ich war früher mal eine ziemlich gute memory®-Spielerin und habe mich schon gefreut, meine Familie herauszufordern. Dann schlug mich mein damals dreijähriger Sohn und holte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Haben Sie jetzt keine Lust mehr auf memory®? Das würde mein Sohn gar nicht zulassen. Er spielt heute als Sechsjähriger gegen seine Professoren-Eltern - Papa ist auch noch Spieltheoretiker! - und er gewinnt einfach mühelos. Das hat mich dazu bewogen, mich näher mit dem Gedächtnis von Kindern zu befassen und mit der Frage, warum Kinder beim memory® immer siegen. Gewinnen denn immer die Kinder? Ich habe kürzlich im Hörsaal der Hochschule Heilbronn zwei Vorlesungen für jeweils 400 Kinder gehalten zum Thema: "Warum gewinnen immer die Kinder im memory®-Spiel - oder wie lernt unser Gehirn?" Am Anfang stellte ich die Frage: Wer gewinnt eigentlich, wenn ihr zuhause mit den Eltern memory® spielt? Da hoben fast alle die Finger. Haben Sie dafür eine wissenschaftliche Erklärung? Ja, die gibt es: Bei Kleinkindern wächst das Gehirn sehr schnell. Das eines Dreijährigen ist fast schon so schwer wie das eines Erwachsenen. Allerdings haben Kinder eine andere Struktur im Hirn: Sie verfügen über rund 200 Millionen Nervenzellen, die mit 200 Billionen Synapsen vernetzt sind. Eine imposante Zahl, nicht wahr? Mein Mathematik-Kollege hat es mal ausgerechnet: Sie brauchen etwa 200 Billionen Gummibärchen, um damit 40 große Fußballstadien bis zum Rand zu füllen. Also verfügen Kinder durch ihre frische und stark verzweigte Vernetzung im Hirn über enorme, ungebremste Rechenleistung. Und die setzen sie beim memory® spielen ein, wissen ganz genau, wo welche Karte aufgedeckt wurde, und kennen die Kärtchen bis ins Detail. Erwachsene müssen dagegen mit etwa der Hälfte an Synapsen auskommen. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang: Ab der Pubertät nimmt die Zahl der Synapsen deutlich ab - nicht weil wir dümmer, sondern weil wir klüger werden. Mit dem Lernen baut sich das Gehirn Synapsen-Autobahnen, auf denen es schnell vorankommt. Es wird effizienter. Nebenstrecken werden weniger genutzt, dadurch aber auch weniger Synapsen benötigt, und nicht genutzte Synapsen baut das Hirn mit der Zeit ab. Deshalb spielen Erwachsene nicht mehr mit voller Rechenleistung memory®. Legen Erwachsene deshalb so gerne die memory®-Karten in Reih und Glied aus, um ihre Chancen zu verbessern? Das ist typisch, so haben sie es im Laufe der Zeit gelernt. Erwachsene bauen ein System, suchen Orientierung, damit sie ihre aufgedeckten Karten hoffentlich wieder finden. Kinder, die das noch nicht von den Eltern abgeschaut haben, legen die Karten chaotisch auf den Tisch und finden sie trotzdem. Sie verhalten sich dabei nicht mal "ergebnisorientiert" und merken sich ohne Unterschied alle Karten, nicht nur die, die schnell als Pärchen verwertbar sind. Kinder wirken sehr konzentriert beim memory®, sie wollen unbedingt siegen. Das ist so wichtig, dass sie bis unter die Haarspitzen motiviert und voll bei der Sache sind - mehr als die Erwachsenen. Sie erleben, auch mal etwas besser zu können als die sonst bestimmenden allmächtigen Eltern, das stärkt das Selbstbewußtsein. Deshalb spielen sie dieses Spiel auch so gerne. Viele Erwachsene übrigens auch, denn in diesem Spiel sind Kinder vollwertige Gegner, und das bringt die Hirnzellen auf Trab. Dennoch: Erwachsene hätten bessere Chancen, wenn sie mit der gleichen Konzentration spielen würden wie die Kinder. Schummeln Kinder auch mal, um zu gewinnen? Wieso denn? Kinder sind die geborenen memory®-Spieler. Hier müssen eher die Erwachsenen schummeln. |