Aus dem Kölner Stadt Anzeiger vom 24. Januar 2004

Lego - Rückkehr zu den Bausteinen

von HANNES GAMILLSCHEG


Der Verzicht auf die Großbausteine „Duplo“ gilt als entscheidender strategischer Fehler.

Kopenhagen - „Genug gespielt“, kommandiert Jesper Ovesen, Legos neuer starker Mann, und das ist eine seltsame Botschaft für einen der weltweit größten Spielwarenkonzerne. Hätten sich mehr Kinder einen der Lego-Baukästen zum Spielen gewünscht, dann wäre beim dänischen Hersteller ja alles in schönster Ordnung. Doch Ovesens Botschaft ist auch nicht an die potenziellen Käufer gerichtet, sondern an die Führungsetage in der Firmenzentrale in Billund. Dort ist nach einem katastrophalen Weihnachtsgeschäft die große Krise ausgebrochen: Vorstandschef Poul Plougmann wurde geschasst, der Firmeneigner Kjeld Kirk Kristiansen setzte sich selbst wieder ans Steuer.

Rote Zahlen in der Bilanz

Rot waren bei Lego früher allenfalls die Klötzchen, aus denen die Kinder die Dächer für ihre Bausteinhäuser bauten. Rote Zahlen waren in den Firmenbilanzen ein halbes Jahrhundert lang undenkbar, ehe vor fünf Jahren ein erstes (geringes) Defizit den Familienbetrieb erschütterte. 2000 ging es nochmals schief, und nach zwei Erholungsjahren, in denen die Wende zum Guten schon geschafft schien, stürzte Lego 2003 in unergründete Tiefen. Ein Defizit von knapp 190 Millionen Euro und ein um fast 25 Prozent geschrumpfter Umsatz sind selbst für ein Milliardenvermögen wie das der Kristiansens nicht leicht zu verkraften.

„Wir haben zu viel auf einmal gewollt“, sieht Ovesen nun ein, und Kristiansen, der Enkel des Firmengründers, verordnet die Rückkehr zu erprobten Werten: „Wir haben vergessen, was unser Kernprodukt ist: der Baustein.“ Kreatives Spielen, dem nur die Fantasie Grenzen setzt, war das Warenzeichen gewesen, dem Lego seine Größe verdankt. Doch dann eroberten Barbies und Playstations die Kinderzimmer, und und immer jüngere Buben und Mädchen klemmten sich hinter ihre Computer und ließen die Lego-Baukästen im Schrank.

Der Versuch, mit PC-gesteuerten Lego-Figuren die Computerkids fürs Basteln zu gewinnen, scheiterte an den zu hohen Preisen der Bausätze. Und Lizenzverträge für Lego-Serien mit Harry Potter oder Star-Wars-Themen sorgten jeweils nur kurzfristig für enorme Umsätze. „Unsere Strategie war verkehrt“, räumt Kristiansen ein: „Wir müssen uns auf die Klötze konzentrieren und auf die Kinder, die noch nicht zu alt sind.“ Dass Lego die Warenmarke Duplo aus dem Sortiment nahm, die Großklötze, mit denen Kinder im Krabbelalter den Spaß am Türme bauen entdecken sollten, gilt heute in der Konzernzentrale in Billund als entscheidender strategischer Missgriff. Stattdessen hatte man immer raffiniertere Baukästen mit immer komplizierteren Bauanleitungen entwickelt, die der Spielfantasie immer weniger Platz ließen. Einst bauten die Kinder Autos aus Klötzen und spielten, dass sie fuhren. Dann legte Lego Motoren bei und sie fuhren wirklich. Zuletzt ließen sie sich mit der Maus am Bildschirm steuern. Doch die Kids schoben lieber die Spiele-CDs in ihren PC. Aber auch die Kehrtwende zum klassischen Lego-Stein ist als Strategie riskant, warnen Experten. Lego kann nicht aus eigener Kraft die Kinder vom Fernsehen und vom Computer wegholen“, sagte die in den USA als „Dr.Toy“ bekannte Stevanne Auerbach. „Es ist arrogant und lebensgefährlich, sich einzubilden, dass das eigene Produkt so einzigartig ist, dass es dafür immer einen Markt geben wird“, ergänzt Jörn Steenholdt von Rabo, Dänemarks größtem Spielwarenvertreiber. Denn wenn es nur um Hartplastik-Bauklötze geht - warum müssen die dann von Lego sein und doppelt so viel kosten wie die der Konkurrenz?

Ob der als scheu und entscheidungsschwach geltende Kristiansen der richtige Mann ist, um „seinen“ Konzern - der 8000 Menschen beschäftigt, trotz Krise 1,15 Milliarden Euro umsetzt und die ganze Region um Billund ernährt - aus den Miesen zu holen, ist bei Analysten gleichfalls umstritten. Finanzchef Ovesen hat sich als Sanierer in der Finanzbranche einen Namen gemacht. Doch was versteht er von Spielzeug? Aus Kostengründen die „Spielkabinette“ zu schließen, in denen kreative Geister neue Produkte entwickeln sollten, kann sich als Bumerang herausstellen, denn mit dem Noppenstein allein lässt sich Legos Zukunft nicht bauen.