Aus dem Kölner Stadt Anzeiger
vom 10. Mai 2003

ZAUBERKRAFT DER KARTEN

von Kirsten Boldt

Du bist - du bist - du bist - dran!" Umtost von Toyco Musics martialischem Donnersound taucht ein schmächtiges Anime-Kerlchen auf, mit Spielkarten in der Hand wächst der Knirps auf gleiche Höhe wie seine jugendlichen Freunde, die Haare taftgetunt und grell gesträhnt in Pink und Blond, den coolen Blick auf die Fans vor dem Fernseher gerichtet: "Zeit - für ein - Du-, Du-, Duell". Ja, sie sind bereit zu einem Duell. Ja, sie sind auch bereit dazu, viel Geld dafür zu löhnen. So wie der kleine Yugi Mutou wollen sich nun auch viele Jungs in Deutschland fühlen. So cool und so mächtig.

Die Karten dafür mischt ihnen der japanische Videospiel-Produzent Konami mit "Yu-Gi-Oh". Der Marktriese liefert seit 1996 die Pappe für diese Zweikämpfe. Die Idee stammt aus der Serie des Manga-Zeichners Kazuki Takahashi. Er schildert die Abenteuer seines kleinen Helden Yugi und seiner Freunde Joey, Tristan und Tea. Alle vier sind vernarrt in das Kartenspiel "Duel Monster", in dem Wesen mit magischen Kräften gegeneinander antreten. Dieses Spiel wurde allerdings schon vor 5000 Jahren von Pharaonen mit echten Monstern und richtiger Magie gespielt. Leider verloren die hohen Herren damals die Kontrolle und konnten die Ungeheuer nur mit sieben magischen Gegenständen bändigen. Zufällig besitzt Yugis Großvater einen dieser Gegenstände, ein Puzzle in Form einer goldenen Pyramide. Und zufällig gelingt es seinem Enkel Yugi, dieses Puzzle zusammenzusetzen; er erhält dadurch unglaubliche Zauberkräfte, sein zweites Ich - Yami Yugi - ist geschaffen. Einen anderen magischen Gegenstand hat der Fiesling Maximilian Pegasus, ein goldenes ägyptisches Auge, mit dem er die Gedanken anderer lesen kann. Er entführt Yugis Großvater, und Yugi kann den alten Mann nur retten durch viele, viele Kartenkämpfe.

Seit Mitte März ist nun fast täglich Fan-Treffen vor dem Fernseher. RTL startete die Serie zum Thema, und Yugi entfesselt die Monster, gruselige Kreaturen in düsteren Farben, ein furioser Kulturmix aus japanischen Kami, keltischen Elfen und Zauberern, mittelalterlichen Rittern, ägyptischem Mumienschanz und chinesischer Oper, geradezu geschaffen zum Anheizen des Billionen-Dollar-Geschäfts mit "Yu-Gi-Oh". Jeder Duellant hat Lebenspunkte, die verloren werden, wenn das gegnerische Monster siegt. Die Ungetüme können aber auch gestärkt und verschmolzen werden oder in Fallen geraten; dafür gibt´s bestimmte Karten. Und zwar jede Menge.

Fürs Duell werden mindestens 40 Karten benötigt. Die Starter-Sets mit 46 Karten sind alle gleich. Das Spiel bekommt seinen Reiz durch den Austausch mit Zusatz-Karten, die stärkere Ungeheuer, vertracktere Fallen und noch mehr Magie bieten. Sie sind in Booster-Packs zu jeweils neun Karten erhältlich. So manche begehrte Karte wird künstlich verknappt. Duellanten sind bereit, dann saftige Preise zu zahlen, die Papp-Bildchen werden wie Wertgegenstände getauscht und gehandelt. Schon eine der hochbegehrten seltenen fünf Karten der "Verbotenen" (damit lässt sich ein Duell sofort siegreich beenden) liegt derzeit bei 90 Euro. So müssen die Fans denn auch kräftig zahlen. Ein Starter-Set kostet 20 Euro, die unverzichtbaren Booster-Packs mit neun Karten zwischen fünf und sieben. Die Auswahl ist dann fast grenzenlos. 10 000 verschiedene Titel soll es in Japan geben. Dort läuft "Yu-Gi-Oh" seit sieben Jahren ununterbrochen. Drei Milliarden Karten wurden im Inselreich unters Volk gebracht, begleitet von sieben Millionen Spielen für Gameboys und Play-Stations. Das Spiel trat dann in englischer Übersetzung vor zwei Jahren zu einem Siegeszug nach Amerika und Großbritannien an, vor wenigen Monaten schwappte die Welle nach Frankreich und Belgien über, nun brandet sie in Deutschland an. Vor drei Wochen erschienen die deutschen Starter-Sets und Booster-Packs in den Geschäften, aber schon nach wenigen Tagen hieß es "Alles weg". Der Hersteller Amigo-Spiele druckt bereits fleißig neue.

Im Hinterzimmer von "Outpost-Cologne" hat diese Lücke im Angebot null Bedeutung, ganz abgesehen davon, dass es in diesem Geschäft für Sammelkartenspiele kaum Engpässe gibt. Auf engstem Raum, an vier Tischreihen, sitzen sich die Cracks gegenüber, alles Jungs zwischen acht und 18, bereit zum Duell. In dem kleinen Laden an der Haltestelle Heumarkt werden jeden Samstag Turniere veranstaltet. So richtig mit Schiedsrichtern und Preisen. "Was soll ich anders machen?" meint Geschäftsführer Horst Scholl. "Der Run auf diese Karten ist noch schlimmer als bei Pokémon. Die Jungen wollen richtig kämpfen. Da habe ich zwei Pokale gestiftet." Die prangen jetzt in Silber und Gold verlockend hinter Glas. An den Tischen wird nervös gehustet. Nur noch wenige Minuten, dann geht´s los. Viele Spieler haben jede Karte sogar einzeln in Folie gepackt. "Damit keine Kratzer drankommen", erklärt Sebastian Hennecke.

Der 13-jährige Gymnasiast gilt in diesen Kreisen als Ass. Obwohl er erst vor einem Monat Yu-Gi-Oh verfiel, hat er schon viele Turniere gewonnen. "Total begabt", meint der Schiedsrichter anerkennend. Sebastians Karten sind auf Englisch. "Ich spiel nur damit", meint er. Alle spielen nur mit den englischen. Die Namen sind besser, meint einer. Klar, dieses widerliche graue Gerippe auf der Monster-Card sieht ja auch wirklich viel mehr nach "Summon Skull" aus als nach "Herbeigerufener Totenkopf". Sebastian spielt zusammen mit Klassenkamerad Tobias Falkenstein. Die zwei wollen abräumen. Schließlich gibt es nicht nur Pokale zu gewinnen, sondern auch Booster-Packs und Karten. Sie setzen ziemlich flott ihre gleichaltrigen Gegner unter Druck. Monsterattacken werden kombiniert mit Fallen- und Magiekarten. Vor dem Duell werden die Decks jedoch noch mal gemischt, so bleibt ein Hauch von Glücksspiel. Bei Sebastian und Tobias haben die Gegner kaum eine Chance. "Die Spinne ist tot", greift der Schiedsrichter ein und wirft das besiegte Biest mit vorwurfsvollem Seitenblick auf das Friedhofsfeld. "Nee, den Zug kannste so nich machen." Was dem einen zur harten Lehrstunde wird, entlockt dem anderen ein mildes Lächeln. "Ich muss sie abends um sieben rauswerfen", meint Scholl. "Sonst geht das die ganze Nacht durch."

Fast 1500 Karten gibt es auf Englisch. In Japan kursieren siebenmal so viele Titel. Da alle Karten kombinierbar sind, üben japanische Booster-Packs auf so manchen offenbar einen zusätzlichen Reiz aus. Im letzten Herbst meldeten sich an der "Japanischen Schule Köln" ein paar Teenager an, um sich mit der schwersten Schriftsprache der Welt vertraut zu machen. Seit Monaten üben sie nun schon fleißig Kanji und Hiragana. Julien Steinadler (12) und sein Freund Miro Plum (12) reisen jede Woche extra mit dem Zug aus Bergisch Gladbach an. "Es ist schwer, aber es macht auch Spaß", meint Julien. "Ein bisschen von den Karten kann ich schon entziffern."" Auch Robert Wande (12) lernt japanisch: "Ich will die Yu-Gi-Oh-Story auch im Original lesen." Und der 14-jährige Georg Zambasis interessiert sich "sowieso für alles, was mit Japan zu tun hat". Auch er kennt die Turnierhöhle am Heumarkt: "Da hab ich schon viele Karten gewonnen."

Das Papp-Stadium von Yu-Gi-Oh haben zwei 17-jährige Gesamtschüler einer kleineren Stadt im Rheinland längst überwunden. Sie stellen sich als "Kaiba" und "Dark Magician" auf einer eigenen Website für Fans vor. "Im letzten Sommer stießen wir beim Surfen im Internet auf die amerikanischen Yu-Gi-Oh-Sites", erzählt "Kaiba". Das Vorbild für ihre Website, auf der alles virtuell abläuft, sozusagen stilecht im Reich der Schatten. Es gibt einen Japanisch-Crashkurs für Einsteiger, E-Mail-Kontakte, Tipps und virtuelle Turniere. "Die Genehmigung dazu haben wir uns von amerikanischer Seite geholt. Wir träumen von Duellen mit Fans überall auf der Welt."